Die Weltbevölkerung wächst – und mit ihr der Hunger nach Energie. Gestillt wird er überwiegend durch Erdöl, Kohle und Gas, die sich im Lauf von Jahrmillionen aus Biomasse gebildet haben und seit der Industrialisierung in rasantem Tempo verheizt werden. Die fossilen Brennstoffe gehen zur Neige.
Doch es gibt auch Energie im Überfluss: Die Sonne schickt mit ihrer Wärmestrahlung Jahr für Jahr eine enorme Energiemenge. Allein die Wüstengebiete der Erde empfangen innerhalb eines Tages mehr Energie, als die Weltbevölkerung in einem Jahr verbraucht.
Einen Teil dieser Energie einzufangen und zur Stromerzeugung zu nutzen, ist das Ziel des Projekts DESERTEC. In der Sahara und auf der Arabischen Halbinsel sollen thermische Solarkraftwerke die Sonnenstrahlen mit Hilfe von Spiegeln auf einer kleinen Fläche konzentrieren und diese dadurch aufheizen. Konzentriert man die Sonnenstrahlen zum Beispiel auf einem Wasserrohr, heizt sich dieses so stark auf, dass Wasserdampf entsteht. Dieser kann dann wie in einem herkömmlichen Kraftwerk eine Dampfturbine mit einem Stromgenerator antreiben. Um die gesamte Menschheit mit Elektrizität aus solarthermischen Kraftwerken (Concentrating Solar Power, CSP) zu versorgen, würde in der Sahara eine Fläche von nur 300 mal 300 Kilometer ausreichen – das ist nicht einmal ein Prozent der Wüstenfläche.
Drei Studien aus Stuttgart
Die Pläne für DESERTEC basieren auf drei Studien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Auftrag des Bundesumweltministeriums untersuchten Forscher des Stuttgarter Instituts für Technische Thermodynamik (ITT) mit Hilfe von Satellitendaten in 50 Ländern Europas, Nordafrikas und des Mittleren Ostens, in welchem Umfang sich erneuerbare Energien für die Strom- und Trinkwasserversorgung eignen, wobei solarthermische Kraftwerke (CSP) besondere Beachtung fanden. Bei den anderen betrachteten Energiequellen handelte es sich um Windkraft, Photovoltaik, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie.
Die drei Studien – von den Wissenschaftlern kurz TRANS-CSP, MED-CSP und AQUA-CSP genannt – zeigen: CSP können zuverlässig und kostengünstig CO₂-freien Strom liefern. Im Mittleren Osten und in Nordafrika brauchen solarthermische Kraftwerke zum Beispiel nur 0,3 Prozent der Wüstenfläche, um die dortigen Länder mit Strom und entsalztem Meerwasser zu versorgen – und zudem noch Elektrizität nach Europa zu exportieren.
Der Stromtransfer nach Europa könnte schon zwischen 2020 und 2025 mit 60 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr beginnen und sich bis 2050 auf jährlich 700 Milliarden Kilowattstunden erhöhen. Weil dadurch weniger konventionelle Kraftwerke gebraucht werden, ließen sich bis 2050 die CO₂- Emissionen im Stromsektor auf 25 Prozent des Jahres 2000 zurückfahren.
Mit Hochspannung durchs Mittelmeer
Der interkontinentale Stromtransport soll durch Hochspannungsleitungen erfolgen, die mit Gleichstrom betrieben werden. Die Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) bietet mehrere Vorteile: Auch bei sehr großen Entfernungen wie zwischen Nordafrika und Mitteleuropa betragen die Verluste nur 10 bis 15 Prozent. Zum Vergleich: Überlandleitungen mit Wechselstrom bringen es auf 25 bis 45 Prozent Verlust; bei der Umwandlung in Wasserstoff würde der Transportverlust sogar 75 Prozent betragen. Ein weiterer Pluspunkt der HGÜ-Kabel ist: Sie lassen sich auch gut unter Wasser verlegen und können so das Mittelmeer überbrücken.
Genau hingeschaut haben die ITT-Forscher auch bei der Frage, wie sicher und nachhaltig die Stromversorgung in Nordafrika und im Mittleren Osten überhaupt sein kann. Tagsüber herrscht dort eitel Sonnenschein. Dank der hohen und das ganze Jahr über sehr gleichmäßigen Einstrahlung können thermische Solarkraftwerke am Tag permanent Strom liefern.
Eine stabile Stromversorgung muss aber auch nachts funktionieren. Die DESERTEC-Kraftwerke erhalten deshalb Energiespeicher, die sich tagsüber mit Wärme aufladen und diese nachts zur Dampferzeugung wieder abgeben. Dass dies funktioniert, zeigt das thermische Solarkraftwerk „Andasol 1“ in Spanien. Auf dem Gelände der 50-Megewatt-Anlage stehen zwei große, mit flüssigem Salz befüllte Tanks, die sich tags auf 400 Grad Celsius aufheizen. Die gespeicherte Wärme reicht aus, um die Dampfturbine nachts sieben Stunden am Laufen zu halten und Strom zu erzeugen.
Mit entsprechenden Wärmespeichern ausgerüstete solarthermische Kraftwerke in Nordafrika und im Mittleren Osten könnten also rund um die Uhr Strom liefern. Für Europa bedeutet dies: Der Importstrom aus dem Süden ergänzt ideal die einheimischen erneuerbaren Energiequellen, deren Leistung im Tagesverlauf größtenteils schwankt.
Trinkwasser mit der Kraft der Sonne
Zusammen mit Kollegen aus sieben Ländern haben die Stuttgarter Forscher auch untersucht, welchen Beitrag solarthermische Kraftwerke zur Stromversorgung großer Meerwasserentsalzungsanlagen leisten können. In Nordafrika, im Nahen und im Mittleren Osten sind die verfügbaren Trinkwasserressourcen in der Regel gering. Großtechnische Entsalzungsanlagen sind bisher sehr teuer; sie verbrauchen viel Energie, die meist aus fossilen Brennstoffen stammt. Die reichen Ölstaaten am Arabischen Golf können dies bezahlen, die armen Länder Nordafrikas eher nicht.
Doch die wachsende Bevölkerung in den urbanen Zentren dieser heißen Region sowie die rasch sinkenden Grundwasserspiegel erfordern eine bezahlbare und umweltverträgliche Lösung des Trinkwasserproblems. Mit dem Strom aus thermischen Solarkraftwerken, so die AQUA-CSP-Studie des DLR, lässt sich Meerwasser kostengünstig und umweltfreundlich entsalzen. Ob man dabei Umkehrosmose, Multi-Effekt-Destillation oder ein anderes Verfahren einsetzt, hängt vom jeweiligen Standort und den Rahmenbedingungen ab.
Das Umfeld für Solarstrom bereiten
Kostengünstiger, sicherer und umweltfreundlicher Strom aus solarthermischen Kraftwerken, so das Fazit der drei DLR-Studien, könnte im Jahr 2050 rund 15 Prozent des europäischen Strombedarfs decken. Einen Nutzen davon hätten auch die Länder Nordafrikas und des Mittleren Ostens: Sie könnten CO₂-freien Strom für den Eigenbedarf und den Export produzieren, Trinkwasser gewinnen und Arbeitsplätze schaffen.
Technisch und finanziell wäre DESERTEC machbar. Um das Projekt voranzubringen, haben 17 verschiedene Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen im November 2009 die „Desertec Industries GmbH“ (Dii) gegründet. Deren Mitarbeiter sollen sich nun vor allem um die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen kümmern. Der Bau der Kraftwerke und der Stromnetze wird dann ausgeschrieben wie anderer Großprojekte auch.
Unterstützt wird die Desertec Industries GmbH von einem internationalen Beratergremium mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Den Vorsitz des Beirats übernimmt übrigens Professor Hans Müller-Steinhagen, der das DLR-Institut für Technische Thermodynamik in Stuttgart seit über zehn Jahren leitet.