25. Mai 2010 Palmdale/Kalifornien, NASA Dryden Aircraft Operations Facility: Exakt um 21:44 Uhr Ortszeit hebt SOFIA, eine umgebaute Boing 747, von ihrer Heimatbasis ab und startet damit in eine neue Ära der Infrarot-Astronomie. Dem Start haben nicht nur die zehn Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker an Bord des Jumbo-Jets entgegengefiebert. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks steigt die Spannung. Forscher vom Deutschen SOFIA Institut (DSI) und vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben seit Jahren auf diesen "First Light Flight" hingearbeitet, bei dem die weltweit einzige fliegende Sternwarte zum ersten Mal astronomische Objekte im Flug beobachtet – und dabei Daten liefert, die für erdgebundene Observatorien und die derzeitigen Weltraumteleskope unzugänglich sind.
Bei der achtstündigen Fotosafari in der unteren Stratosphäre gelingen der internationalen Crew – darunter auch DSI-Forscher aus Stuttgart – mit der Spezialkamera FORCAST Infrarotaufnahmen von der Galaxie M82 und vom Planeten Jupiter. So zeigt das Wärmebild des Jupiters die Hitze, die durch Lücken in seiner Wolkendecke entweicht. Und mit den infraroten Aufnahmen von M82 sehen die fliegenden Astronomen durch interstellare Staubwolken hindurch direkt in das Herz von M82, wo Zehntausende von Sternen entstehen.
Mit dem wissenschaftlichen Jungfernflug hat das deutsch-amerikanische Gemeinschaftsprojekt einen wichtigen Meilenstein erreicht. SOFIA steht für "Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie". Beteiligt sind das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die amerikanische Weltraumbehörde NASA (National Aeronautics and Space Administration). Während die Amerikaner für den Umbau und den Flugbetrieb des auf den Namen "Clipper Lindbergh" getauften Jumbo-Jets verantwortlich sind, war die deutsche Seite für den Bau des SOFIA-Teleskops zuständig. Entwickelt und gebaut haben das fliegende Hightech-Fernrohr die Firmen MT Aerospace AG und Kayser-Threde GmbH.
Ohne Wasserdampf mehr Weitblick
Den wissenschaftlichen Betrieb auf deutscher Seite koordiniert das Deutsche SOFIA Institut (DSI), das zusammen mit dem Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) an der Universität Stuttgart beheimatet ist. In den USA liegt die wissenschaftliche Betreuung in Händen der Universities Space Research Association (USRA). Bisher schlägt das Projekt mit rund 700 Millionen Euro zu Buche; davon entfallen 100 Millionen auf den deutschen Anteil. Die Uni Stuttgart mit ihrer renommierten Fakultät "Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie" hat sich mit 2,3 Millionen engagiert.
In den kommenden 20 Jahren soll SOFIA jährlich zu rund 160 Beobachtungsflügen abheben, um zum Beispiel das Zentrum der Milchstraße, in dem sich ein Schwarzes Loch befindet, genauer zu erkunden oder die Geburt junger Sterne und Planetensysteme zu beobachten. Selbst die Entstehung der ersten Galaxien im weit entfernten jungen Universum können Astronomen mit SOFIA untersuchen. Das infrarote Licht all dieser Himmelskörper ist von der Erdoberfläche aus nur eingeschränkt zu empfangen, da es vor allem vom Wasserdampf der Erdatmosphäre zurückgehalten wird. Doch in der unteren Stratosphäre lässt die fliegende Sternwarte mehr als 99 Prozent des Wasserdampfs unter sich und kann so einen Großteil der kosmischen Infrarotstrahlung empfangen.
Bis es soweit war, lag viel Arbeit vor den Wissenschaftlern und Ingenieuren. Zum einen mussten sie einen Jumbo-Jet so umbauen, dass sich das tonnenschwere Teleskop sicher unterbringen und bedienen lässt. Dafür hat man eine Boing 747 in der Mitte auseinandergesägt und ein Stück des hinteren Rumpfs entfernt. Ersetzt wurde dieser Abschnitt durch ein neues Segment mit einer großen Luke, die sich auch im Flug durch eine Art Rolltor öffnen lässt und dann dem Teleskop einen ungetrübten Blick ins All gewährt.
Volltreffer aus 16 Kilometern
SOFIA fliegt in Höhen von zwischen 13 und 14 Kilometern. Dort sackt das Thermometer auf minus 60 °C ab und der Luftdruck sinkt auf ungefähr ein Fünftel des Normaldrucks. Deshalb trennt eine druckfeste Wand den Teleskopteil vom vorderen Abschnitt des Rumpfes, in dem sich die Passagierkabine mit den Arbeitsplätzen der Wissenschaftler befindet.
Das Teleskop hat die Erwartungen der Forscher bisher mehr als erfüllt. Dank der aufwändigen Mechanik der Teleskopaufhängung und der zwölf luftgefederten Vibrationsdämpfer sowie einer ausgeklügelten elektronischen Regelung lässt sich die fliegende Sternwarte sehr präzise ausrichten. Die Genauigkeit, mit der das Teleskop auch bei Fluggeschwindigkeiten von 800 km/h auf einen bestimmten Punkt am Himmel fixiert bleiben kann, beträgt 0,2 Bogensekunden (arcsec). Das entspricht der Aufgabe, mit einem Laserpointer eine Ein-Cent-Münze aus einer Entfernung von 16 Kilometern zu treffen – und das einem fahrenden Auto heraus, das mit 250 km/h über die Autobahn rast.
Im Teleskop, dessen Grundstruktur aus leichtem, aber sehr stabilem Kohlefaserkunststoff (CFK) hergestellt ist, befinden sich drei Spiegel. Diese fangen sichtbare Licht- und unsichtbare Infrarotstrahlen ein und leiten sie an Kameras und Messinstrumente weiter.
Drei Spiegel und neun Detektoren
Der Primärspiegel hat einen Durchmesser von 2,70 Meter. Sein Bau dauerte rund fünf Jahre. 1997 wurde der Rohling aus Zerodur-Glaskeramik der Firma Schott gegossen. Dieses Material ähnelt Ceran, das für Kochplatten verwendet wird und unempfindlich gegen extreme Temperaturschwankungen ist. Um Gewicht zu sparen, musste der vier Tonnen schwere Rohling gehörig abspecken: Auf seiner Rückseite wurden anderthalb Jahre lang vorsichtig 120 Löcher herausgefräst, so dass er jetzt nur noch 900 Kilogramm wiegt. Nach dem folgenden Feinschliff, der Politur und der Aluminiumvergütung der Oberfläche war der in Deutschland hergestellte Hightech-Spiegel im Mai 2002 schließlich fertigt. Seine Oberflächengenauigkeit beträgt 0,1 Mikrometer; seine Temperaturstabilität ist bisher einzigartig.
Die eingefangene Licht- und Infrarot-Strahlung lenkt der Primärspiegel auf den 34 Zentimeter großen Sekundärspiegel aus Siliziumkarbid (SiC), der es auf den Tertiärspiegel weiterleitet. Dieser führt die Strahlen aus dem Teleskop heraus zu den Messinstrumenten. Eigentlich besteht er aus zwei planen Spiegeln. Der erste ist auf der Oberfläche mit Gold vergütet und daher halbdurchlässig: Die infrarote Strahlung wird um 90 Grad reflektiert, die sichtbare Strahlung jedoch passiert ungehindert und trifft auf den zweiten Spiegel. So entstehen zwei Brennpunkte: einer für die infrarote Strahlung und einer für die sichtbare Strahlung.
Das SOFIA-Teleskop kann je nach Aufgabenstellung mit verschiedenen Kameras und Detektoren betrieben werden. Das jeweilige Instrument befindet sich im Passagierraum des Flugzeugs, so dass es vor widrigen Außenbedingungen geschützt ist. Für die erste Betriebsphase von SOFIA hat das internationale Forscherteam neun Instrumente entwickelt, die unterschiedliche Messtechniken anwenden. So kam beim "First Light Flight" die FORCAST-Kamera (Faint Object InfraRed-Camera for the SOFIA Telescope) der Cornell-University zum Einsatz, die im Bereich des mittleren Infrarot (MIR) arbeitet und sehr hoch auflösende Bilder liefert.
GREAT und FIFI LS – Hightech aus Deutschland
Eines der bereits eingesetzten Instrumente ist GREAT, das mehrere Forschungsinstitute aus Deutschland entwickelt haben. Das Kürzel steht für German Receiver for Astronomy at Terahertz Frequencies und bezeichnet ein Ferninfrarot-Spektrometer, das ebenfalls höchstauflösende Bilder liefert. Von diesen erwarten die Wissenschaftler eindeutige Rückschlüsse auf die Zusammensetzung und den physikalischen Zustand (Dichte, Temperatur, Geschwindigkeit) der Materie in den Tiefen des Alls.
Das zweite deutsche Instrument ist ein Ferninfrarot-Linien-Spektrometer, kurz FIFI LS (Field-Imaging-Far-Infrared Line Spectrometer). Entwickelt und gebaut wurde das 3D-Spektrometer vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik; seit September 2011 bereiten es Wissenschaftler der Uni Stuttgart für seinen ersten SOFIA-Flug im Jahr 2013 vor. Mit FIFI LS wollen die Forscher "Landkarten" der Infrarotstrahlung von Spiralgalaxien erzeugen und daraus unter anderem Rückschlüsse auf die Entwicklung der Milchstraße ziehen.
Der Einsatz unterschiedlicher Messinstrumente ist ein großer Vorteil der fliegenden Sternwarte. Je nach wissenschaftlicher Aufgabe lassen sich die Kameras und Detektoren leicht wechseln oder gegen neuere Instrumente austauschen. Auch die Wartung ist vergleichsweise einfach und kostengünstig, da SOFIA – im Gegensatz zu einem Satelliten – jeden Tag nach Hause kommt.
Im November 2010 hat das fliegende Teleskop erfolgreich den planmäßigen wissenschaftlichen Betrieb aufgenommen und mittlerweile viele faszinierende Infrarotbilder des Planeten Jupiter, der Galaxie Messier 82 und der Sternentstehungsregion M17SW geliefert. Das Deutsche SOFIA Institut will künftig auch so genannte kosmische Jets untersuchen. Diese treten zum Beispiel auf, wenn ein entstehender Stern Materie an sich zieht und einen Teil davon als gebündelten Materiestrahl wieder abstößt.
Das "fliegende Klassenzimmer" im 21. Jahrhundert
Mit insgesamt sieben Instrumenten – darunter die beiden deutschen Messeinrichtungen – können die Wissenschaftler astronomische Objekte innerhalb eines umfassenden Wellenlängenbereichs zwischen 0,3 und 1600 Mikrometern untersuchen. Dabei geht es an Bord des "Clipper Lindbergh" neben der Forschung übrigens auch um Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Denn neben Nachwuchswissenschaftlern sollen auch ausgewählte Schüler- und Lehrergruppen sowie Journalisten die Möglichkeit zum Mitfliegen haben und so die nächtlichen Messflüge live erleben. Weil die Plätze in dem umgebauten Jumbo sehr begrenzt sind, wird es aus dem modernen "fliegenden Klassenzimmer" Satellitenübertragungen in Schulen geben. Das Deutsche SOFIA Institut (DSI) hat hierzu gemeinsam mit DSI-Partnerschulen ein entsprechendes Bildungsprogramm entwickelt, um Schüler für Astronomie zu begeistern. Eine dieser 34 Partnerschulen ist übrigens das Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Gymnasium, das seit einigen Jahren eine Astronomie-AG anbietet. Die Schülergruppe hat auch schon eine Exkursion nach Kalifornien unternommen und dort den Wissenschaftsflieger besucht. Noch besser haben es Mitte Juli 2011 zwei Gymnasiallehrer aus Berlin und München – sie sind die ersten Pädagogen, die an einem SOFIA-Flug teilnehmen und dabei hautnah erleben, wie fliegende Forschung in 13 Kilometern Höhe abläuft.
Im September 2011 ist SOFIA zu Gast auf dem Flughafen Stuttgart, der das Projekt tatkräftig unterstützt. Zwei Tage lang können interessierte Besucher das Flugzeug besichtigen und sich das Teleskop erklären lassen – allerdings sind die Führungen im Handumdrehen ausgebucht. Für alle, die keine Karte ergattern konnten, gibt es einen kleinen Trost: Der spektakuläre Jumbo-Jet startet und landet in der Regel zwar in seiner Heimatbasis im kalifornischen Palmdale – doch zumindest einmal im Jahr soll SOFIA während der Forschungsflüge Kurs auf Stuttgart nehmen.