Es ist schon ein merkwürdiges Gebilde, das sich im Sommer 2010 am Rand des Stadtgartens breitgemacht hat und mit seinem leuchtenden Gelb-Orange frech vom Grau der Umgebung abhebt. Aus der Ferne erinnert seine Form an einen überdimensionalen Schildkrötepanzer oder das leere Chitingehäuse eines Maikäfers.
Wer näher an das auffällige Objekt herangeht, sieht sich zwischen den Hochhäusern der Uni und dem Katharinenhospital einem filigranen Holzbauwerk gegenüber, das dicht über dem Boden zu schweben scheint. Dünne, nur 6,5 Millimeter starke und zehn Meter lange Birkenholzstreifen sind kunstvoll miteinander verflochten. Sie bilden einen Torus mit zehn Metern Außendurchmesser und einer inneren Spannweite von 3,5 Metern.
Der ringförmige Holzpavillon ist in doppelter Hinsicht ein spannendes Projekt – zum einen wegen seiner Konstruktionsweise, zum anderen wegen seiner Entstehungsgeschichte. So ungewöhnlich die äußere Form des Pavillons, so ungewöhnlich ist das zweisemestrige Vorhaben, in dem die inhaltlichen Grundlagen erarbeitet wurden. An der Fakultät für Architektur und Stadtplanung hatte sich ein Projektteam gebildet aus Wissenschaftlern und Studierenden des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) sowie des Instituts für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE).
Im Versuch das Material erforschen
Mit seinem Forschungspavillon wagte sich das 18-köpfige Team in unbekanntes Neuland vor. Normalerweise bestehen Bauwerke mit einer solchen komplexen Geometrie aus vorgeformten Bauteilen. Doch hier entstanden die organischen runden Formen erst beim Zusammenstecken der zehn Meter langen Streifen aus Birken-Sperrholz. Immer zwei der insgesamt 80 Streifen bilden ein Paar, verlaufen wellenförmig gegeneinander und versteifen sich. Es ist wie bei einem Flitzbogen: Die geraden Segmente entsprechen der Sehne und stehen unter Längsspannung; die gewölbten Abschnitte bilden den Bogen, der unter Biegespannung steht. Weil sich die nebeneinander liegenden Holzstreifen an den Kreuzungspunkten überlappen, entsteht in dem ganzen Gebilde ein stabiles Gleichgewichtssystem, das den Pavillon zu einem selbst tragenden Bauwerk macht. Deshalb ist auch keine tief gründende Verankerung im Boden nötig.
Zu Beginn des Projekts betrieben die Studierenden zunächst Materialforschung. Sie sollten einen Konstruktionsentwurf vorlegen, der auf dem elastischen Biegeverhalten von Holz basiert. So untersuchten sie im Rahmen einer Semesterarbeit das Zug-, Biege- und Bruchverhalten handelsüblicher Multiplexplatten aus Birkenholz und fütterten mit den gewonnenen Daten einen Computer. Weil die zehn Meter langen Holzstreifen jeweils aus mehreren Einzelelementen bestehen, war die Gestaltung der Überlappungsstellen eine wesentliche Aufgabe. Die optimale Form der Überlappung ermittelte das Team experimentell und entschied sich für eine Art Zapfenverbindung, die maximale Zugkräfte von zwei Tonnen aufnehmen kann.
Im Computer die Formen berechnen
Im nächsten Schritt legten die Studierenden die äußere Form des Pavillons fest,
um anschließend die exakte Form der 80 einzelnen Holzstreifen zu berechnen, die
sich aus insgesamt 500 verschiedenen Teilen zusammensetzen. Dies alles geschah
virtuell: Rund 6500 Zeilen Programmiercode übertrugen die angehenden Baumeister in ein Computermodell,
das sie mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM) immer weiter verfeinerten.
Insgesamt entstanden so drei Simulationsmodelle. Diese berücksichtigen nicht
nur Materialeigenschaften und konstruktive Formen, sondern auch das Windverhalten
des Pavillons.
Neue Wege beschritt das Team auch bei der Herstellung der 500 Einzelteile. Diese fertigte nämlich ein Industrieroboter, der im zweiten Stock des Gebäudes KII stationiert ist. Die aus der Simulation stammenden Konstruktionsdaten wurden in einen Maschinen-Code übersetzt und flossen direkt in den Roboter, der innerhalb von zwei Wochen alle 500 Teile fertigte. Der eigentliche Aufbau des Pavillons auf dem Vorplatz des KII ging dann in nur vier Tagen und mit Hilfe studentischer Muskelkraft über die Bühne.
Im Grenzbereich Erfahrungen sammeln
Das leuchtende Gebilde soll zunächst bis 2011 stehenbleiben. Diese Zeit will das Forschungsteam nutzen, um das Verhalten und die Dauerbelastbarkeit der vorgespannten Holzkonstruktion zu untersuchen. So will man zum Beispiel den Pavillon mit Gewichten belasten und die entsprechende Verformung messen. Diese realen Messwerte werden dann mit entsprechenden Werten der Computersimulation abgeglichen, um diese weiter zu verfeinern.
Dass der Werkstoff Holz lebt, stellten die Studis beim Aufbau des Pavillons fest. Durch die Hitzewelle im Juli 2010 war das Holz spröder geworden als kalkuliert, ein paar wenige Elemente rissen und mussten neu gefertigt werden. Doch das gehört zu den Erfahrungen im Grenzbereich zwischen Materialforschung und Architektur. Weitere Erfahrungen etwa zum Langzeitverhalten des Holzpavillons unter verschiedenen Witterungsbedingungen werden sicherlich folgen. An der Schnittstelle von Forschung und Lehre bleibt es spannend.